Eclipse

Es ist so weit. Nach insgesamt 10200 km Flug und 1800 km Autofahrt klingelt am 21.08.2017 im Raum 314 des Best Western Hotel in Denver exakt 2:30 Uhr Morgens der Wecker. Völlig sinnlos, denn ich bin schon seit einer Stunde munter. Von "Ausgeruhtheit" ist in mir keine Spur. Die Nacht war ausgesprochen schlecht. Durch eine Doppeltür dieses Hotelzimmer klang bis Mitternacht der Lärm einer billigen tv-Show, die Klimaanlage verbreitete eine unangenehme trockene Luft und mein geschätzter Zimmerkollege Uwe, legte eine Schnarcheinheit vom Feinsten hin.

 

In den Medien hier wurde immer wieder vor Staus gewarnt. Das Land ist zwar groß, aber das bedeutet nicht unbedingt eine ebenso größere Infrastruktur. Nur sehr wenige Straßen liegen auf unserer Route, eigentlich nur eine.


Die Fahrt führt nun von Denver nach Glendo, einem kleinen Ort ungefähr 3 Autostunden entfernt. Wenn wir ungehindert durchkommen, sind wir früh morgens 6 Uhr am Zielort.

Bereits 30min nach Start ist der Highway so dicht mit Autos befahren, dass ich Zweifel am Durchkommen habe. Es wird mit Sicherheit nicht weniger werden.

Irgendwann sehen wir nur noch rote Lichter vor uns, aber es rollt erstaunlicher Weise trotzdem. Mir ist aufgefallen, dass das gleichberechtigte Überholen auf rechter wie linker Spur die Autobahn entlastet. Das ist in Deutschland verboten, dadurch quetschen sich viele bei dichtem Verkehr auf die linke Seite und verstopfen diese noch weiter.

Beim Anblick dieser Massen geht mir durch den Kopf, dass diese Kolonne zeitlich gestreckt über mehrere Stunden unterwegs ist. Wie wird es aussehen, wenn die Massen sich alle zeitgleich auf den Heimweg machen?

In dem winzigen Nest Glendo steht Polizei bereit und leitet zielgerichtet alle Fahrzeuge in eine Richtung. Nach weiteren 2 km versperrt uns ein Ordnungsmensch den Weg. Alle Fahrzeuge werden auf eine riesige Freifläche, dessen Ende wir nicht einsehen können, geleitet. Nach 3 Sekunden überlegen, fahren wir einfach an ihm vorbei.

 

Es liegt jetzt eine leere Straße vor uns. So gondeln wir 3 km suchend über eine erhöhte Landschaft. "Heranrasender Kernschatten" schießt es mir durch den Kopf. Um diesen zu sehen, muss man weit ins Land sehen können. Wir biegen auf einen Weg ein und landen an einem versteckten Platz. Dieser wurde schon Wochen vor diesem Tag sorgfältig von Uwe, per googlemaps, ausgekundschaftet. Hier befinden sich nur vereinzelt Fahrzeuge.


Ich steige aus und suche sofort eine gut erreichbare Erhöhung in der Landschaft. Denn der Platz liegt eingekesselt zwischen Hügeln. Ich werde auf einem der Hügel fündig und erblicke eine geniales Panorama. Vor uns liegt ein größerer Stausee. Die freie Sicht beträgt mindestes 4 bis 5 Meilen. Ideale Bedingungen. Es kann los gehen.

Ach ja, der Himmel über uns ist stahlblau. Jetzt muss der Mond vom Himmel fallen, wenn noch etwas schief gehen sollte.

--- Denkpause ---


Über WhatsApp hat jemand später gefragt, wie es so war. "Naja, es ging so....", antwortete ich, weil mir einfach erst mal die Worte fehlten.


 

Um es im Vorfeld zu sagen: Es war ein grandioses Ereignis, das emotional tief bewegend war. Es toppte die Finsternis von 1999 nochmals, was ich nicht für möglich gehalten hätte

 

Aber der Reihe nach:

 

Zuerst wurde das Equipment den Hügel hoch getragen, was recht flott erledigt war. Die Freunde hatten vor unserer Ankunft schon ganze Arbeit geleistet. Sie besorgten nicht nur notwendige Verpflegung für alle, sondern auch für jeden einen preiswerten Klappstuhl, um den Tag entspannt sitzen zu können. An dieser Stelle ein großes "Danke" an euch! Das hätten wir drei unmöglich noch nach dem Flug erledigen können.

Ganz langsam fanden sich die verschiedensten Leute auf der Anhöhe ein. Ein Franzose (sehr ausgeprägt humorvoll) mit seiner Frau, ein Australier und (das war DER Knüller) ein waschechter Indianer. Dieser trug eine Rahmentrommel unter dem Arm.
So warteten wir ca. 2 Stunden und konnten eine gute Vorbereitungszeit nutzen.

 

 

 

Das wir nun alle gesund und munter bei besten Wetter abseits der Massen auf diesen Hügel stehen, empfinde ich mit tiefer Dankbarkeit. Seit über 3 Jahren steht dieser Tag auf der Planung. Mitsamt des Vorbereitungsstresses, den beachtlichen Investitionen, den vielen Gesprächen und sonstigen Überlegungen hat sich eine Spannung aufgebaut, die sich nun in wenigen Stunden entladen darf. Diese Anspannung ist vor allem auch bei Uwe zu spüren. Holger ist wie so oft eher gelassen und wirkt cool. Der jungen Wiebke ist schlecht und sie sitzt abseits auf einem Stuhl. Na hoffentlich wird es bald besser. Gabi ist fröhlich drauf und Manuela gehts glaube ich auch ganz gut. Ich selbst bin tief beschäftigt und gehe im Kopf meinen festen Plan durch.

 

Die beste Art dieses Ereignis zu genießen, wäre ein Fernglas und ein Stuhl. Aber ich habe mich bewusst für eine Kombination aus Beobachtung und Fotografieren entschieden. Zwar wird es tausende Bilder später im Internet geben, die wesentlich besser sind - aber es werden meine sein. Und ich sehe es als sportliche Herausforderung.


 

Beim ersten Kontakt des Mondes mit der Sonne setzte sich der Indianer in seinen Stuhl mit Blick zur Sonne. Mit der Schutzbrille auf der Nase entschwebt er unübersehbar in tiefste Gedanken.

Dann stimmte er, erst leise und dann immer lauter, einem curioser Weise völlig vertrauten indianischen Gesang an. Leute - das war sooo cool und emotional, das ist kaum zu beschreiben.

 

Er betrieb das bis zur Finsternis mit kleinen Pausen fort. Ab und zu blickte er aber auch durch eines der zur Verfügung stehenden Teleskope.

 

Meine Güte, war das schön!

 

Nach diesem ersten Kontakt dauert es geschätzt eine Stunde, bis es soweit ist. Die Temperatur fiel deutlich ab und Jeder musste sich etwas überziehen.  Die Umgebung verfiel zunehmend in das mir bekannte aschfahle Licht. Keine Farben mehr, die zahlreichen Pelikane waren verschwunden und die Anspannung bei uns steigerte sich zunehmend.

 

Jetzt wurde es von Minute zu Minute spürbar kühler. Der leichte Wind legte sich.

 

 

 

Ich blickte von der Sonne abgewendet auf den See und konzentrierte alle meine Sinne auf den mit 1800km/h heran rasenden Kernschatten. Dieser war nicht abgegrenzt auszumachen, stattdessen verdunkelte es sich immer schneller. Die letzten Sekunden, ich war fasziniert.

 

Uwe rief: "Ist das schön!"

 

Die vorher am Horizont nicht sichtbaren Wolkenschleier verfärbten sich jetzt tiefrot. Irgendwer rief: "Noch 20 Sekunden". Dann hüllte uns der Schatten vollständig ein. Neben mir saß das französische Pärchen. Die Frau war so überwältigt, dass sie unweigerlich in Tränen ausbrach.

Jetzt lief alles wie in einem Film ab. Viel zu kurz und absolut fern jeder gewohnten Realität lieferte die Natur eine Show vom Feinsten. Die Leute riefen, pfiffen, johlten. Völliges Erstaunen ergriff den fast völlig dunklen Platz. Ich drehte mich um und erblickte die schwarze Sonne. Jetzt wo ich es schreibe, erlebe ich es noch einmal. Das trifft einen wirklich ins innerste Mark. Die Sonne war pechschwarz. Um sie herum stand eine aschfahl eingefärbte sowie symmetrisch breit gezogene Korona. Es war so surreal.

Der erste Blick durch das Teleskop lies mich erstaunen. Ich sah gleichzeitig die Korona und die schon Stunden vorher im h-Alpha Teleskop entdeckten Protuberanzen. Weiß und rot zusammen ist selbst für professionelle Teleskope nicht drin. Weder Weltraumteleskope noch Vergleichbares kann das zeigen. Unmittelbar neben der Sonne leuchtete ein Stern. Grandios!

Dann ließ ich das Teleskop stehen und blickte ohne Hilfsmittel nach oben. In diesem Augenblick schossen mir Tränen ein, weniger Freudentränen - ich war eher völlig ergriffen.

Sekunden vergingen. Eine nach der anderen. Nachdem ich mir das Bild einprägt hatte, riss ich mich los und zog das Okular aus dem Refraktor. Dafür steckte ich nun die vorbereite Kamera ans Teleskop.

 

Das Fokussieren dauerte quälende Sekunden und dann sah ich dieses unbeschreibliche Bild auf dem Display. Sofortiger Schuss! Noch einmal und noch einmal. Fix die Belichtung geändert, plötzlich flog doch tatsächlich dicht neben der Sonne ein Flugzeug durch. Wie geil ist das denn? Wieder Schuss und noch einmal. Und dann kam der Diamantring. Der Blick zur Sonne wurde unmöglich, denn der erste Strahl blendete gleißend hell. So schnell waren 2 Minuten um?

Jetzt musste nochmal die Kamera ran. Diesen Ablauf hatte ich so geplant und konnte ihn tatsächlich einhalten. Leider bin ich irgendwann beim Anstecken auf die ISO- Einstellung geraten, sodass ich unbemerkt mit niedrigster Empfindlichkeit fotografierte. Das hatte zur Folge, dass etliche Bilder unscharf wurden. Wie überglücklich war ich, dass ich aber als einzelnes Bild den Diamantring festhielt. Das checkte ich erst Stunden später im Hotel.
Zwischendurch hatte ich übrigens auch kurz das kleine Fernglas ohne Filter benutzt und die ausschweifende Korona mit dem ganzen Drumherum gesehen. Ich hab keine Ahnung, wie ich das noch geschafft habe.


Erst im Hotel konnte ich auch die Geräuschkulisse noch einmal ablaufen lassen, die Geräusche hatte ich ab dem Augenblick der Totalität nicht mehr verarbeitet. Selbst die strahlend helle Venus habe ich nicht registriert. Aber das ist nicht schlimm.  Es war so oder so das eindrucksvollste Ereignis in meinem Leben. Das hatte ich zur Sofi 1999 auch gesagt, aber dieses mal war es noch besser. So ein Schauspiel der Natur ist eigentlich kaum vermittelbar. Auch hier zeigte sich meine wiederholte Äußerung: eine partielle Finsternis ist nur ein Splitter dessen, was eine totale Finsternis bietet. Zieht dich eine partielle Verdunklung der Sonne schon in den Bann, so steigert sich dieses exponentiell mit jeder Sekunde ins Unendliche.

Es wurde langsam heller. Mein erster Blick galt den Franzosen. Die Frau war völlig aufgelöst und schluchzte wie ein Schlosshund. Ich lies alles an mir fallen und setzte mich auf den Stuhl. Kein Blick mehr zur Sonne, obwohl die Partielle jetzt mit bestimmt 95 % am Himmel stand.
Erst bei geschätzten 90% sah ich wieder auf. Uwe trat an mich heran und war so begeistert, dass ihm kaum die Worte einfielen. Wir konnten durchatmen.

 


Als mir in meiner Jugendzeit zum ersten mal ein Physiker von einer Sonnenfinsternis berichtete, hat er neben den faszinierenden Effekten etwas abfällig über die erstaunten Leute gesprochen. Diese vielen "Ah's" und "Oh's" seien doch gar nicht angebracht. Es ist ein ganz normaler physischer Vorgang, der erklärt werden kann. Eine Zeit lang erschien mir das logisch.

Inzwischen habe ich meine Meinung darüber vollständig geändert. Klar weiß ich als Hobbyastronom, was sich da oben abspielt. Aber der Mensch ist Mensch und verfügt über ein paar komplexere Fähigkeiten. Wer hier Emotionen unterbindet, beschneidet sich eines wesentlichen Teiles seiner selbst.


Der Horrortrip
Wir überlegen wenigstens eine Stunde zu warten, denn der sich geleerte Platz kündigte die Heimreisewelle an. Das war auch am Horizont an der kriechenden Autoschlange zu erkennen.
Ich möchte das eigentlich nicht noch mal detailliert beschreiben, aber es gehört ja mit dazu. Daher im Groben:
In Amerika ist alles größer, vielleicht auch der Stau. Natürlich hatte dies hier einen handfesten Grund. Die wahren Dimensionen hielt niemand von uns für möglich.


Was sagte ich in einem anderen Blog? 27 Millionen Menschen waren auf dem Weg? Jo - so Pi mal Daumen kommt das hin.
Bereits nach 10 min standen wir erstmal bei brütender Hitze auf der Parallelstrasse zum Highway komplett fest. Die Klimaanlage des VW Jetta schaffte kaum die einfallende Hitze zu bewältigen.  Auf der Strasse rührte sich kein Auto mehr. Einige Fahrer wurden unruhig und preschten einen landwirtschaftlichen Weg entlang. Dabei zogen sie riesige Staubwolken hinter sich her.

Ich saß mit Holger und Manuela im Auto, plötzlich scherte das Auto der anderen Freunde aus und fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Dort war es noch ein wenig flüssiger. In diesem Moment brach jeglicher Kontakt zu ihnen ab. Es war keinerlei Handyverbindung möglich. Obwohl wir zügig nachsetzten, war dann weit und breit keine Spur mehr von ihnen zu sehen. Ich vermutete, dass irgend etwas sie in leichte Panik versetzte. Wie sich später herausstellte ging es wirklich jemandem nicht gut und sie suchten eine geeinigte Stelle zum Aussteigen.

Insgesamt hätten wir 120 Meilen bis zur nächsten Unterkunft nach Cheyeene zu bewältigen gehabt. Auf einer ordentlichen deutschen Autobahn schrubbelt man sowas in 90 min weg.
Hier in den Staaten gibt es aber übers Land kein vergleichbares Straßensystem. Nach Cheyeene führt nur der Highway und 40 Meilen  weiter östlich eine Landstraße nach Süden. Die dafür notwendige Kreuzung lag 8 Meilen vor uns im Norden. Dafür brauchten wir allein etwas über 3 Stunden. Holger schlug die östlich gelegene Straße vor und so bauten wir 70 Meilen Umweg ein. Nach weiteren drei Stunden war er so von Übelkeit genervt, dass wir beschlossen zu wechseln. Ein solcher Fall war nicht eingeplant, da die Fahrer bei der Vermietung versicherungstechnisch festgelegt werden. Hier war jedoch "Not am Manne" und ich setzte mich hinter das Lenkrad. Es gab aber einProblem:

 

Nach dem Packen der Fahrzeuge wechselte ich wegen des übervollen Wagens doch wieder zu Holger. Daher lag all mein Gepäck im anderen Auto, auch meine normale Brille. Jetzt hatte ich die ganze Zeit eine Sonnenbrille auf. Und mit dieser Brille fuhr ich nun notgedrungen bei einem wundervollen Sonnenuntergang der Nacht entgegen. Ich sag euch, es war irgendwann so finster, das ich vom schwachleuchtenden Navigationssystem und dem Strassenrand draußen nichts mehr sehen konnte. Dennoch klappte erstaunlicher Weise alles besser als befürchtet. Irgendwie gewöhnten sich meine Augen mit der Zeit an so wenig Licht und ich hielt mich vor allem an den roten Leuchten meines Vordermannes,

Nach 10 Stunden nerviger Fahrt trafen wir erschöpft im Motel ein. Und unglaublich - wir waren die Ersten der Truppe! Mein Zimmer konnte ich jedoch nicht beziehen, denn die Unterlagen dafür hatte Uwe im anderen Auto. Draußen war es empfindlich kalt geworden. Da wir zudem alle bettreif waren, beantragte ich im Zimmer von Holger und Manu offiziell Asyl. Dies wurde glücklicher Weise gewährt und man reichte mir sogar ein Decke - und zusätzlich oben drauf ein Kopfkissen. Das Glück schien kein Ende zu nehmen.


In der mir am geeignetsten erscheinenden Ecke des Raumes fand ich wie ein bisschen das Paradies mit Ruhe. Was will man mehr....? Na gut, ein gereichtes Bierchen hätte die Sache noch komplett gemacht. Vielleicht auch ein Zweites.

Uwe rief mich 1 Stunde später per Handy an. Ich könne ins anderen Zimmer einrücken. Irgendwie fast schade, hatte ich es mir doch so gemütlich gemacht und langsam gefiel es mir sogar ;-)

Aber gegen eine heiße Dusche konnte selbst die schönste Ecke dieses Raumes nichts entgegen halten. 10 min später schlief ich weg wie ein Stein.

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Kommentare: 2
  • #1

    Onkelchen (Freitag, 25 August 2017 20:13)

    Wundervoller Bericht. Ein Erlebnis mit Stend Ing Oh Wechen...

  • #2

    Der Sohn (Sonntag, 03 September 2017 14:06)

    Faszinierende Geschichten. Mitreißend und interessant beschrieben!
    Ein Blog, den es sich zu lesen lohn ;-)